Lieber Diederichs ...

Auszüge aus den Briefen Rudolf Arnheims an Helmut Diederichs                     (1974 bis 2001)

19. Okt. 1974:
Sehr geehrter Herr Diederichs
... es ist mir schon lange ein Lieblingsgedanke gewesen, daß meine alten Aufsätze, fast unwiederbringlich verstreut, einmal wieder zugänglich gemacht werden können. Da beeindruckt es mich besonders, daß Sie schon alle meine Weltbühne-Arbeiten beieinander haben ...

 

12. Feb. 1975:
Lieber Herr Diederichs
Inspiriert von Ihrem Brief vom 9. Januar bin ich in die düsteren Gewölbe hinabgestiegen wie der Rabbi Löw im Golem und habe zusammengesucht, was ich an alten deutschen Filmbeiträgen bei mir noch finden konnte. ... Mir persönlich sind die kleinen Porträts von Filmschauspielern besonders lieb -- ich glaube, sie gehören stilistisch zum besten, was ich geschrieben habe. ... In der Nazizeit wurde einiges im BT unter Decknamen veröffentlicht, weil ich nicht der Schriftkammer angehörte, also nichts mehr drucken lassen durfte. ...
Die Titelliste hat mir viel Spaß gemacht: ich hatte das alles vergessen und freue mich darauf, das einmal wieder zu sehen. ...
Ich redigierte den kulturellen Teil der Weltbühne wohl seit dem Herbst 1928. Nach Jacobsohns Tod übernahm Ossietzky die Redaktion und ließ mich fast ganz selbständig alles Unpolitische redigieren. Tucholsky war im Ausland und steuerte Rat, Kritik und Beiträge per Post bei. Später war dann auch Walter Karsch als Hilfsredakteur tätig, hauptsächlich fürs Politische. Die letzten Hefte erschienen wohl im Februar oder März 1933, als Ossietzky schon verhaftet war. Wir bildeten uns ein, dass, da wir in einer Mietswohnung der Neuen Kantstraße in Charlottenburg unsere Redaktion hatten, wir immer durch die Hintertür ausrücken könnten, wenn die Nazis vorne hereinkämen. So naiv war man damals noch. Es gäbe viel über das alles zu erzählen. Jeden Freitag fuhren Ossietzky und ich nach Potsdam und machten den Umbruch in der Steinschen Druckerei.

 

29. Mai 1975:
... ich bitte Sie schon jetzt, nicht auf Vollständigkeit auszugehen, sondern mit eisernem Besen auszukehren, was nicht wertbeständig ist. In diesem Zusammenhang will ich noch erwähnen, daß ich während meiner römischen Zeit regelmäßig für die Zeitschrift Cinema, zu deren Redaktionspersonal ich gehörte, Beiträge schrieb. Obwohl vom Lehrfilminstitut herausgegeben, war diese Zeitschrift durchaus populär, und was ich da schrieb, war im wesentlichen journalistisch, so daß es nicht der Mühe wert wäre, dem allem nachzugehen ...
Was nun mein Rundfunkbuch angeht, so besitze ich da in der Tat das deutsche Manuskript.

 

30. Juli 1975:
Es ist mir lieb zu hören, daß medium die zwei Aufsätze, Stil und Symbole, zusammen mit Ihrem Aufsatz veröffentlichen (will) ...
Neulich sah ich mir den Bergmanfilm, Szenen einer Ehe, an, ging aber in der Pause weg. Was für ein unterkietiges Gewäsch!

 

8. Okt. 1975:
An den Besuch von Louis Lumière in Rom kann ich mich soweit erinnern, als daß ich ein Interview mit ihm hatte, das ich wohl auch irgendwo aufgeschrieben habe, ... Besondere Probleme bestanden für mich am Völkerbundsinstitut erst 1938, als Mussolini die Rassengesetze lancierte und Italien aus dem Völkerbund austrat. Aktive Linkspolitiker wären natürlich von vornherein nicht nach Italien ausgewandert; und für Liberale meines Schlages bestand keine Schwierigkeit. Die Völkerbundsangehörigkeit schuf eine Art Enklave. ...
Was mein Rundfunkbuch anlangt, so liegt mir sehr daran, es auf deutsch zu veröffentlichen.

 

8. Dez. 1975:
Ich hatte die gute Nachricht bereits durch den Herrn Krüger vom Hanser-Verlag erhalten. Das freut mich natürlich sehr, zumal auch für Sie, der Sie so viel Arbeit hineingesteckt haben. Ohne Sie wäre es natürlich nie zu dieser Veröffentlichung gekommen. ...
Es ist nicht unmöglich, daß die von Ihnen aufgestöberte Zeichnung mich darstellt. Meine jüngste Schwester, jetzt mit dem Photographen John Gay in London verheiratet, machte damals gelegentlich Karikaturen für Cinema; ...
Lieblingsfilme? Die von damals sind natürlich die im Buch erwähnten. Und von den seither produzierten? Monsieur Verdoux, Ladri di Biciclette, Fellini's 8 1/2, Rashomon, einiges von Ozu ...

 

9. Jan. 1976:
Nun nimmt unser Buch also wirklich Gestalt an -- das ist sehr aufregend. Mir gefällt Ihr Inhaltsverzeichnis sehr gut. ... Schönen Dank für Ihre freundliche Anregung, daß ich nach Frankfurt komme. Ja, falls jemand Reise, Hotel und Honorar erschwingen könnte, würde ich's vielleicht einrichten können. Aber nicht von einer Filmorganisation. Ich bin über das Filmwesen der letzten Jahrzehnte so völlig unbewandert, daß ich mich auf keinen Fall dazu offiziell äußern würde, auch nicht bloß "historisch". In einer Universität, einem Museum oder so, ja. ...
Von Balázs erinnere ich nur, und zwar sehr deutlich, die äußere Erscheinung: wie er aussah, den Rhythmus seines Ganges.

 

19. Feb. 1976:
Ich bin Ihnen für Ihre Bemühungen, und vor allem auch für die beiden Einladungen, sehr dankbar. Nun werden wir uns also sehen.

 

9. März 1976:
Wir sind uns also einig, daß ich am Donnerstag, dem 29sten (April), an der Universität sprechen werde und am Freitag im Kommunalen Kino. ... Retournons à nos moutons: Ich werde den Maya-Deren-Aufsatz übersetzen. ...
Heute noch eins. Die Witwe des kürzlich verstorbenen Hans Richter, eines alten Freundes von mir, schreibt, er habe jahrelang unter Angriffen gelitten, die ihm vorwarfen, er habe Viking Eggeling nicht genügend gewürdigt, wenn er später über ihre Zusammenarbeit berichtete; auch hat er offenbar E.s Nachlaß verwaltet. Frau Richter fragt, ob ich etwa zur Richtigstellung etwas schreiben könnte.

 

1. Juli 1976:
Lieber Helmut
Hier sitze ich nun wieder in unserem Strandhäuschen. Das Gehirn ist wieder angedreht, und die geliebte Schreiberei beginnt wieder zu tröpfeln. Bei aller Anregung des Reisens bin ich doch erst wieder wirklich lebendig, wenn ich etwas fabriziere. Ich habe auch meine Geige hierher, wo mich niemand hört, mitgenommen und bin auch wieder am Holzschnitzen, eine schmächtige Figur aus einem Stück Lindenast. Es ist mir lieb, nun zu wissen, an wen ich schreibe. Ihre stille Hilfsbereitschaft ist mir in guter Erinnerung ...

 

4. Dez. 1976:
Ich will Sie nur eben wissen lassen, daß die ersten zwei Sendungen der Fahnen hier eingetroffen sind und ich schon vieles davon gelesen habe. Das Buch kommt mir nun doch interessanter vor, als ich mir es vorgestellt hatte, und ich bin Ihnen eigentlich erst jetzt wirklich für Ihre Anregung dankbar, ohne die das Buch nicht zustande gekommen wäre, und vor allem auch für die viele Arbeit, die Sie da hineingesteckt haben.

 

18. Dez. 1976:
Die schauerlichen Druckfehler bekümmern mich sehr, und ich bitte Sie herzlich, alles mit Sorgfalt durchzusehen ... Sonst liest es sich alles recht gut. Der Laokoon ist ein bißchen zwangsneurotisch, enthält aber doch Interessantes.

 

24. Dez. 1976:
Hier nun ist der Rest der korrigierten Druckfahnen und dazu das Vorwort. Ich kann nicht übersehen, ob mein Ms. die richtige Länge hat ... Falls aber Kürzung unumgänglich ist, müßte ich das selbst übernehmen ...

 

13. Jan. 1977:
Man hört ja garnichts von Ihnen! Sind die Fahnen alle glücklich angekommen, und haben Sie dem Drucker scharfäugig auf die Finger gesehen? Hat Ihnen die Einleitung gefallen, und bekomme ich die Fahnenabzüge davon?

 

26. Jan. 1977:
Über die Übersetzungen machen Sie sich nur keine grauen Haare. Wenn ich sie unmöglich gefunden hätte, dann hätte ich sie nicht durchgehen lassen; ... es ist ähmt nicht so leicht.
Wie ich im Hanser-Katalog sah, haben Sie offenbar eine Stroheimszene für den Umschlag gewählt -- das ist gut. Ich habe mich bei der Ankündigung (im Verlagsprospekt, H.H.D.) über die Frage amüsiert: "Wo ist denn der Arnheim von heute?" Antwort: Kann ich Ihnen sagen. Er ist oben rechts in der Ecke. (Da war ein Arnheim-Foto plaziert. H.H.D.)
3. Mai 1977:
Das erste Exemplar unseres Buches ist nun bei mir angekommen, und es macht mir wirklich viel Freude. Daß all diese frühen Schriften noch einmal gesammelt werden würden, hatte ich nicht zu erwarten gewagt, und ohne Ihre freundschaftliche Hartnäckigkeit wäre es auch dazu nie gekommen. Vor allem in dem Gesamtverzeichnis steckt eine unglaubliche Menge Arbeit. Ich bin Ihnen wirklich äußerst dankbar.
Nur mit Zögern schicke ich Ihnen das Beiliegende. Mir kam das plötzlich neulich in den Sinn und gewiß hätte das in das Buch aufgenommen werden sollen. Aber obwohl ich mich an den Aufsatz erinnerte, war er sozusagen in einer anderen Schublade meines Gedächtnisses, gehörte zu den Feuilletons, und der Gedanke, daß er, indem er sich auf Chaplin bezog, in unser Buch gehörte, kam mir nicht. Dieser Aufsatz (Chaplin als Erzieher, H.H.D.) erschien, wie Sie sehen, ein Jahr vor dem Anbruch des Dritten Reiches in der größten deutschen Tageszeitung; so kam es denn auch, daß schon in den ersten Nazimonaten ein Freund mir die Nachricht zusteckte, daß dies Feuilleton in meiner Akte im Parteiarchiv vorliege, und diese Nachricht trug dazu bei, daß ich meine Abreise beschleunigte. ... Vielleicht könnte man es irgendwo, anläßlich des Erscheinens unseres Buches, wieder abdrucken lassen. Haben Sie eine Idee? Es müßte aber schon an ziemlich gewichtiger Stelle sein -- nicht irgend ein Blättchen.
21. Aug. 1977:
Lieber Diederichs
... Ich freue mich auch zu hören, daß Sie den Chaplin als Erzieher haben zur Wiederveröffentlichung bringen können. Ich hätte gern ein Exemplar der Frankfurter Rundschau, wenn das herauskommt. Ist ja doch schade, daß wir das kleine Kabinettstück nicht in der Aufsatzsammlung haben. ...
Ich habe eine Arbeit über die Kunst der Geisteskranken fertiggestellt und jetzt auch eine kurze, mehr philosophische Schrift über die Phänomenologie von Raum und Zeit -- sehr einfach und konkret, natürlich, nichts Heideggerisches. ...
Was Sie über eine ungarische Ausgabe meines Filmbuchs (Film als Kunst, H.H.D.) berichten, ist mir sehr interessant. Habe nie davon gehört. Keine Erlaubnis, keine Zahlung. Die übliche Piraterei.
Rom, 25. Feb. 1978:
Daß sich der Filmschriftenband nur langsam verkauft, hörte ich bereits in München. Dafür waren sie aber mit dem Verkauf von Film als Kunst recht zufrieden ...
Rom, 24. Mai 1978:
Sie haben wohl gehört, daß mir das deutsche Innenministerium ein goldenes Filmband verliehen hat. Man lud mich ein, die Auszeichnung Ende Juni in Berlin selbst entgegenzunehmen. Das kann ich nun aber nicht tun. ... Man fragte, ob ich einen deutschen Freund als Vertreter nennen könnte, und als ich vorschlug, daß man Sie, als den Herausgeber der Filmschriften, einlade, die Auszeichnung an meiner Statt entgegenzunehmen, leuchtete die Wahl den Leuten sogleich ein. Ich hoffe, daß Ihnen das Spaß machen wird. Ich kann mir keinen geeigneteren Vertreter denken.
16. Juni 1978:
Nun binden Sie sich mal einen schönen Schlips um und machen sich auf zum Bundesministerium!
27. Aug. 1978:
Ihren amüsanten Bericht über die Berliner Feierlichkeiten habe ich mit Interesse gelesen. Unsereinem kommt so etwas immer etwas lächerlich vor, aber den Leuten, die auf öffentliche Anerkennung aus sind, ist es eben damit Ernst. ... Das Filmband ist übrigens hier nicht eingetroffen. ...
Ansonsten haben wir nach den geräuschvollen römischen Monaten hier ein paar stille Sommermonate in erholender Anonymität zugebracht. Ich habe einige neue Aufsätze geschrieben, einen über Kunst und Technologie, einen anderen gegen die relativistische Wertlehre, deren zerstörenden Einfluss ich besonders in Italien sehr zu spüren bekam. Gegenüber dieser alles unterhöhlenden Doktrin bestehe ich darauf, dass der sinnliche Tatbestand wie auch der Wert eines Werkes objektive Tatsachen sind. Vielleicht hilft's ein bisschen.
4. Okt. 1978:
Ich lese gerade den Umbruch für das Rundfunkbuch und finde ihn von Druckfehlern wimmelnd. Ich kann nur hoffen, dass man beim Verlag das nach meinen Anweisungen Verbesserte dann sorgfältig auf neue Fehler hin durchsehen wird. Ossietzkys Lieblingszitat war aus dem Meister Eckhart: "Die Wollust der Kreaturen ist gemenget mit Bitterkeit."
... übrigens haben mir die Weltbühnenleute in Ostberlin außer allerhand anderem auch eine zweibändige Ausgabe von Ossietzkys Schriften und eine O-Biographie von Bruno Frei geschickt; dazu den Text eines Hörspiels, worin alle meine alten Kumpane durch Schauspieler dargestellt sind. "Mich überläuft's", wie Gretchen im Faust sagt.
Nun aber vor allem noch: das goldene Filmband ist hier    n i c h t    eingetroffen!
23. Nov. 1978:
Besten Dank für Ihre Nachfrage in Bonn. Bis jetzt ist nichts Goldenes hier eingetroffen. Vielleicht zu Weihnachten.
... Hier ist alles in vollem Betrieb. Ich unterrichte wieder, fahre auch manchmal zu Vorträgen im Lande herum, bin Präsident der American Society for Aesthetics, und bin auch hin und wieder am Schreiben.
18. Juni 1979:
Nicht nur habe ich keinerlei Einwände gegen Ihren Text (Nachwort zur Taschenbuchausgabe von "Film als Kunst", H.H.D.), ich finde ihn ganz außerordentlich gut und kann mich nur freuen, daß mein Buch durch diese Zugabe verbessert wird. Sie ist dem heutigen Leser gewiß nötig, und die schöne Klarheit, die Sie mit so viel Verständnis auf die Beschreibung der geschichtlichen Abfolge angewendet haben, ist höchst erfreulich. ...
Es freut mich, daß unsere Filmschriften nun auch billig unter die Leute kommen. Bald kommen nun auch bei DuMont zwei weitere Bücher heraus. Entropie und Kunst, von mir selbst übersetzt -- daran können Sie mal herumknabbern; und Die Dynamik der architektonischen Form ...
Nächsten Monat werde ich nun angeblich fünfundsiebzig. Meine Hände sehen ein bißchen schrumplig aus, hat also wohl seine Richtigkeit.
19. Juli 1979:
Ihr Geburtstagsgruß hat mich besonders gefreut. Es ist ja nun schon eine Reihe von Jahren, daß wir als Waffenbrüder zusammenarbeiten. Ich verdanke Ihrer hingebenden Sorgfalt sehr viel ...
(Zu einer nicht zustandegekommenen italienischen Fassung von "Kritiken und Aufsätze zum Film"): Es wird sowieso sehr schwierig sein, das besondere Aroma, die Anklänge und parodistischen Zitate zumal der Kritiken in eine heutige Übersetzung hinüberzuretten. Aber es freut mich doch, daß man es versuchen will.
(Zu einer englischen Kuleschow-Ausgabe): Man sieht, daß zumindest K. sich nicht mit der radikalen Devise abfand, daß nur die Montagebeziehung zwischen den Szenen, nicht aber der Inhalt der Szenen selbst wichtig sei. ...
Aristarco schrieb mir dieser Tage aus Turin, daß er unter den Auspizien des bulgarischen Kulturministeriums eine Universalgeschichte des Films organisieren wolle, zu denen Gruppen jedes Landes die Beiträge schreiben sollen. Mir scheint es naiv zu glauben, daß sich mit einem solchen Verfahren etwas Zuverlässiges und Intelligentes zusammenbringen lasse, zumal unter dem Argusauge einer Regierung, bei der es mit der Meinungsfreiheit nicht weit her ist. Er wollte mich für das Komitee; ich habe aber abgewinkt.
Unter den sehr wenigen neuen Filmen, die ich gesehen habe, war Olmis Holzschuhbaum, der mich tief berührt hat. Man sieht auch wieder, daß ein Film umso besser ausfallen kann, je weniger darin geschwätzt wird.
8. Aug. 1979:
(Nach einem deutschen Radio-Interview): Ich bin nicht sicher, daß ich ihn befriedigt habe, denn ihm gefiel in meinen frühen Schriften vor allem das Kritisch-Polemische, und so suchte er denn auch jetzt Entsprechendes aus mir hervorzulocken. Mich interessiert aber seit langem eigentlich nur noch, was am Menschen und seinem Werk zum Besten gelungen ist. Für die Mißgeburten habe ich wenig übrig.
26. Jan. 1980:
Zum Italienischen kann ich Ihnen nur Glück wünschen. Sicher nicht der Aristarcolektüre wegen, sondern daß Sie dann einmal den Boccaccio, Dante und Petrarca im Original lesen können. Das gehört zu den größten literarischen Erlebnissen, und in den Übersetzungen, glauben Sie mir, verkrümelt sich das alles in ein trockenes Nichts.
... Ich bin intensiv an der Arbeit an einem neuen Buch über visuelle Komposition, alles neue Dinge, sehr aufregend.
17. Juli 1980:
Ich lege Ihnen zwei kürzlich entstandene Blitzlichtaufnahmen bei, so daß Sie sehen können, wie der olle Filmtheoretiker dieser Tage aussieht. Die Fotos wurden von meiner Frau hier oben in unserer Strandhütte gemacht, das eine in meinem Arbeitszimmer mit den Fischhaken an der Wand, die ich am Strand gefunden habe, das andere in meinem Skulpturhüttchen, das ich in unserem Wäldchen habe, mit dem Plastilinmodell einer von einer Schlange umringelten Eva auf einem Zedernstumpf. Ich hatte gefürchtet, daß ich diese Lieblingsnachmittagsbeschäftigung würde aufgeben müssen wegen der Arthritis im rechten Arm. Ich habe mich aber umgeschult und hämmere nun meistens mit der Linken, was sehr gut geht. Dem Geigenbogen ist das Zippperlein weniger zuträglich, aber da ist sowieso nicht viel zu verderben.
... Nein, mit dem Getue ums Altwerden habe ich wenig Kummer. Das ist nämlich nicht amerikanisch. Hier ist es mehr so, daß wenn einer Hilfe braucht, so verschafft man sie ihm, und wenn er etwas nicht mehr oder noch nicht leisten kann, so zieht man das in Betracht; ... unter dem Ritual des würdigen und bedürftigen Großvaters hat man kaum zu leiden.
... Vor zwei Wochen habe ich nun auch meinem Verleger das neue Buch, über Komposition in Malerei, Plastik und Architektur, eingereicht. Er schreibt, es sei "quite marvellous" -- was will man mehr. ... Wollen mal sehen, was die Leute sagen, wenn es dem "Licht auf dem Platz" (wie Michelangelo sagte, al lume della piazza) ausgesetzt wird.
Sonst ist allenfalls noch zu erzählen, daß ich mich durch 600 Seiten von Günter Grassens Butt durchgeackert habe. Es hat eine wüste Authentizität, eine Echtheit des Fressens, Hurens und Mordens wie der Simplizissismus -- sehr deutsch. Auch sah ich neulich den Blechtrommelfilm, der hier sehr bewundert wurde, und mit Recht, zum Unterschied vom Nosferatu und Aguirre, die ich peinlich dilettantisch und prätenziös finde. Unbegabt.
13. Sept. 1980:
Ich habe das Münsterberg-Buch nie gelesen ... Ich nehme aber an, daß mir genug für ein kurzes Vorwort einfallen würde. (Eine geplante deutsche Ausgabe von Münsterbergs Filmbuch kam 1980-81 nicht zustande. H.H.D.)
1. Febr. 1981:
Zum Münsterberg werde ich wohl erst zu Anfang des Sommers kommen, doch können Sie dann darauf rechnen.
16. Mai 1981:
Hier nun ist mein Vorwort zu Münsterberg. Ich habe es mit Vergnügen geschrieben und hoffe, es erfüllt Ihre Erwartungen. ... Auch habe ich angefangen, einen neuen Band von Aufsätzen vorzubereiten, wofür ich Gedrucktes rücksichtlos überarbeite. Damit hat es noch gute Weile. ... In einer Woche geht es wieder nach unserer Sommerhütte.
17. Juli 1981:
Ich weiß gar nicht, wie Sie es anstellen, mich dazu zu bringen, Dinge zu tun, die ich sonst nicht getan hätte. Dies mag der einzige etwas ausführliche Lebenslauf sein, den ich je geschrieben habe, und dabei mag's auch bleiben.
21. Aug. 1981:
(Über seinen Film-Beitrag zu "Juden im deutschen Kulturbereich", veröffentlicht 1959): Ich schrieb das Anfang 1933, noch in Berlin, wo alle meine sonstige Beschäftigung schon ausgelöscht war und ich nur noch eine anonyme Existenz führte. Ich kann mir aber kaum noch vorstellen, wie ich all dies Material zusammenbrachte und wie ich wußte, wer Jude war und wer nicht. Kraszna-Krausz war mir behilflich dabei. Gleichzeitig noch schrieb ich am Rundfunkbuch. Es freut mich jedenfalls sehr, den Text, der ja auch ein paar hübsche Charakterisierungen hat, veröffentlicht zu sehen.
5. Febr. 1982:
Die Ehe ist eben keine Freiheitsbeschränkung, wie man sich das manchmal vorher einbildet, sondern im Gegenteil eine Befreiung. In unserer Kindheit in Berlin hatten wir eine schon etwas ältliche ostpreußische Köchin, die sich endlich einen Freund angeschafft hatte und dabei zu meiner Mutter sagte: "Wissen Sie, gnä' Frau, wenn man so einen Herrn hat, das ist doch gleich ein ganz andres Nachdenken!" Das hat mir immer sehr eingeleuchtet.
Mit dem Schreiben ist es ja wohl sehr verschieden. Manche quälen sich ihr Leben lang damit ab; für mich ist es eine Freude, ohne die ich schlechter Laune bin. Ich habe sogar den Verdacht, daß ich nicht, wie die richtigen Wissenschaftler, schreibe als ein bloßes Hilfsmittel meiner Arbeit, sondern umgekehrt denke und forsche, um etwas zu schreiben zu haben -- halte mich also eigentlich für einen Schriftsteller. Sehr hilfreich war mir dabei die journalistische Erfahrung an der Weltbühne. Da wußte ich fast jede Woche: Drei Seiten sind in der nächsten Nummer für dich reserviert; wenn dein Artikel nicht Freitag abend fertig ist, bleiben die Seiten in der Druckerei leer. Da lernt man dann, nicht auf Inspiration, Laune und die rechte Planetenkonstellation zu bauen, sondern, wie mein Freund Schaefer-Simmern (aus dem Rheinland) immer sagte, wenn ich an Kunst und Sehen herumdruckste: "Arnheim, setzense sich aufn Arsch und schreibense Ihr Buch!" Und das tat ich denn schließlich auch.
25. Dez. 1982:
Ich will Ihnen doch gleich für das sehr willkommene Weihnachtsgeschenk, den ersten Balázs-Band, danken ... und ich freue mich, B's spontane und so lebendige Reaktionen auf Ereignisse zu lesen zu bekommen, die ja auch zu meinen Erlebnissen gehörten -- auch schon in diesen relativ frühen Jahren, die ja vor meiner eignen Tätigkeit liegen. Von seinen beiden Büchern besitze ich Erstausgaben, sogar mit handschriftlicher Widmung, glaube ich. Mir war auch Ihre Einleitung sehr interessant: ich wußte nicht, wie vielseitig er als Dichter, Politiker usw. tätig war, die Beziehung zu Bartok und Lukacs usw. So vieles von der ungarischen Kultur ist ja in ihrer abgelegenen Sprache begraben; so erinnere ich mich z.B., daß Kraszna-Krausz mir von dem Monumentalepos von Ady erzählte, ein langes Gedicht über die Geschichte der Menschheit.
21. Juli 1983:
Politisch sieht es bei uns, wie Sie ja wissen, düster aus. Es sieht so aus, als ob wir das reaktionäre Regime noch weiter zu erdulden haben werden. Die Zerstörung auf allen kulturellen, sozialen ... Gebieten ist unsagbar.
22. Sept. 1983:
Es freut mich, daß Sie die langwierigen Initiationsriten nun bei ziemlich heiler Haut überstanden haben. Von nun an sind Sie ein freier Mann und können alle Ihre Sprünge und Seitensprünge mit der Doktorwürde beglaubigen. ...
Es freut mich, daß mein neues Buch Ihre Neugierde erregt. Es ist natürlich ein Risiko: wenn man behauptet, man habe die allgemeine Formel für Komposition gefunden, so lassen Sie einen voraussichtlich entweder links liegen oder sie hetzen die Wolfshunde auf einen. Das ist mir aber ziemlich egal. ...
Kommen Sie nicht einmal hier herüber ins gelobte Land? Sie würden es doch in vieler Beziehung aufregend interessant und gewiß auch schön finden. Lassen Sie mal Ihre Frau ein bißchen nachbohren. (In den meisten Familien sind die Frauen aufs Reisen aus; der Mann klebt am Schreibtisch.)
25. Dez. 1983:
Es ist nun schon allzu lange her daß zu meiner Freude, Ihre Dissertation bei mir eintraf. ... Jetzt habe ich endlich große Teile der Arbeit lesen können, und natürlich fasziniert es mich, zum erstenmal zu erfahren, aus welcher Situation unsereins dann in den zwanziger Jahren entsprossen ist. Es wäre auch interessant, wenn Sie einmal den damaligen Stand mit dem heutigen vergleichen würden. Ich kriege ja kaum Filmkritiken zu lesen, aber ich habe den Eindruck, daß man damals die Aufgabe künstlerisch und sozial ernster nahm. ... Ich selber habe ja bei der Neufassung von Film als Kunst das Kapitelchen ideologischer Analyse (Der Konfektionsfilm) ausgelassen, weil es mir zu laienhaft erschien ...
Inzwischen ist die deutsche Fassung meiner Macht der Mitte in Köln erschienen ... Auch diese Arbeit meine ich nicht formalistisch. Mir geht es immer nur um das durch die Form Ausgedrückte.
24. Juli 1984:
Jetzt bin ich schon über eine Woche lang achtzig Jahre alt, und es ist Zeit, Ihnen zu sagen, wie sehr ich mich gerade über einen Brief von Ihnen gefreut habe. Wir sind nun schon so viele Jahre lang in einer freundschaftlichen Verbindung, während derer Sie so viel für mich getan haben. Auch für den biographischen Aufsatz in dem Filmlexikon habe ich Ihnen wieder zu danken. Er ist mit der für Sie bezeichnenden Vollständigkeit und Zuverlässigkeit gemacht, und ich freue mich, daß dies Material zugänglich ist. ...
Was den Arnheim Circle für August 1985 anlangt, so würde ich mich natürlich sehr freuen, wenn der Plan zustande käme und Sie dadurch zu einem Amerikabesuch angeregt werden könnten. ...
Pölzig war ja der expressionistische Architekt, der den Berliner Zirkus für Reinhardts Großes Schauspielhaus in eine Tropfsteinhöhle verwandelte. Dort sah ich Dantons Tod, aber auch Moissi als Hamlet, ich sehe noch die kleine Figur im schwarzen Trikot ganz allein in der Mitte der Arena für seinen Monolog.
28. Febr. 1985:
Wie viele gute Nachrichten! Es ist sehr erfreulich, daß Sie die Reisekosten von drüben finanzieren können. ... Die Entscheidung, ob das Projekt der Zusammenkunft im August von dem Regierungsinstitut finanziert wird, soll nun demnächst kommen (und da unsre fortschrittliche Regierung alles, was nicht Aufrüstung ist, rücksichtslos beschneidet, kann man durchaus nicht sicher sein, ob die Entscheidung günstig ausfällt) ... Es wäre wunderschön, wenn man sich nach all diesen Jahren wiedersehen würde. Es gibt viel zu erzählen, und inzwischen sind ja auch Sie ein würdiger Familienvater und bereiten sich darauf vor, der nächsten Generation zum Vorbild zu dienen. Sie werden sehen, ein Kind ist ein tägliches Wunder, über alle Begriffe, jedes Lebenselement erlebt man neu, zusammen mit dem neuen Lebewesen.
28. Mai 1985:
Ob das große Ereignis nun stattgefunden hat! Und auf welchen Namen haben Sie sich geeinigt? Das wird nun mehr von Ihrer Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, als Sie erwartet haben, aber es wird sich lohnen. -- Ja, bei uns war auch Enttäuschung über das Nichtzustandekommen des Augusttreffens, und auch hier wird alles Kulturelle und Soziale heftig beschnitten. Die Diktaturmethoden, mir in bester Erinnerung aus meiner italienischen Zeit, stellen sich Stück für Stück ein. Wie unser Land noch drei Jahre dieser bedrohlichen Verwüstung wird aushalten können und ob die Welt es überlebt, ist was man sich täglich fragt. ...
Hierzulande ist nun meine neue Aufsatzsammlung im Druck, und das Jahr bringt mir drei neue Ehrendoktorate.
Unser Kater sitzt auf der eigens für ihn aufgestellten Leiter und schaut miauend in mein Arbeitszimmer. Auch andere Pflichten miauen.
29. Aug. 1985:
Der Student von Prag macht mir viel Vergnügen. Das Büchlein enthüllt eine ganze Filmwelt von vor meiner Zeit. Wie interessant z.B., daß das Wort Autorenfilm damals schon in der Fachpresse benutzt wurde. Und an Paul Wegener und Guido Seeber erinnere ich mich sehr gut. ...
Das beabsichtigte Arnheim-Treffen, das leider abgesagt werden mußte, hat nun wenigstens zu einer kleinen Ausstellung im hiesigen Museum geführt, in der meine Theorien mit Grafiken aus dem Museumsbesitz illustriert sind. Das werde ich nächste Woche sehen, wenn wir vom Strand zurück sind. Danach unterrichte ich zwei Wochen an der Universität Idaho, wo die Sonne zwei Stunden später aufgeht.
7. Dez. 1985:
Hier hat sich so allerhand um mich getan, wohl noch im Kielwasser meines achtzigsten Geburtstags. ...
Vielleicht haben Sie inzwischen auch in Westermanns Monatsheften den ausführlichen Aufsatz gelesen, den der Bildhauer Jürgen Weber, ein Freund von mir, dort veröffentlicht hat. In vielem ist die Arbeit sehr vernünftig und auf gründlichem Material gebaut. ...
Es sieht übrigens so aus, als ob ich um den 15. Juni zu einer Konferenz über das Thema Symmetrie in Darmstadt sein werde, und obwohl ich nicht beabsichtige, das mit Herumreiserei zu verbinden, ist das ja wohl nahe bei Frankfurt, so daß ich darauf hoffen kann, Sie bei dieser Gelegenheit zu sehen ...
Von Ihren väterlichen Pflichten und Freuden höre ich mit viel Vergnügen.
26. Dez. 1985:
Ich bin dabei, im Keller alte Papiere zu sortieren, und finde bei dieser Gelegenheit ein Paket mit Durchschlägen meiner Manuskripte für die italienische Filmenzyklopädie der dreißiger Jahre. Fast alles ist auf deutsch. Einiges davon mag ich später verwendet haben, anderes ist ungedruckt.
25. Jan. 1986:
Mit dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach stehe ich bereits in Verbindung. Man hat dort bereits Einiges von meiner deutschen Korrespondenz, und ich habe ihnen gerade jetzt noch weiteres Material angeboten. Unter anderem habe ich noch alte Sammlungen von Zeitungsausschnitten, wohl hauptsächlich über Film ...
Die Diskussion im römischen Goethehaus, auf die Jürgen Weber anspielt, war eine wirkliche Komödie, die sich auf deutsch und zum Erstaunen der versammelten römischen Intellektuellen geräuschvoll abspielte. Weber und ich sprachen uns gegen gewisse Extremformen der gegenwärtigen Kunst aus, worauf der Brock, dem alles Modische heilig zu sein scheint, schrie, damit redeten wir wie Goebbels, und er werde darüber in der deutschen Presse gebührend berichten. Weber ist auch seinerseits ein richtiger Kampfhahn.
22. März 1986:
Habe ich Ihnen geschrieben, daß meine kleinen Aufsätze, Zwischenrufe, jetzt bei Kiepenheuer in Leipzig erschienen sind? Ich finde das recht amüsant ... Bezüglich meiner Sommerreise sieht es nun so aus, als ob ich mir nach Beendigung der Darmstädter Sitzung, die vom 13. bis zum 17. Juni dauert, noch etwa drei Tage nehmen kann, um Freunde wie Sie in der Gegend zu besuchen.
14. April 1986:
Würden sie wohl den Gefallen tun, für mich ein Hotelzimmer für die drei Nächte, Donnerstag bis Sonntag morgen, zu bestellen.
25. Juli 1986:
Es war sehr lieb von Ihnen, mich mit Ihrem Brief und den Fotos zu beschenken. Ich sehe es wieder sehr lebendig vor mir: den kleinen Restauranthof mit Nicki und den Besuch im Filmmuseum. Auch mir machte unser Gedankenaustausch viel Freude; man möchte sich wünschen, daß unsere Technik statt Kernbomben zu bauen, den irdischen Raum zu überbrücken lernte, so daß man sich über die Ferne hinweg nach Belieben unterhalten könnte. ...
Ansonsten hat mich der große Goethe wieder einmal geschnappt, und ich lese zum erstenmal wieder den Wilhelm Meister, wieder ganz in seinem Bann.
6. Dez. 1986:
Was nun ein Ergänzungsbändchen zu meinen Filmschriften anlangt, so wäre ich dafür nur, wenn es einigermaßen gehaltvoll ist. An einer Abfallsammlung wäre mir nicht gelegen. Ich kann nicht glauben, daß da noch viel wirklich Erhaltenswertes vorliegt -- vielleicht daß sie mir einmal eine ungefähre Liste zuschicken. Mir würde da auch an Ihrem Urteil viel liegen. ...
Ich hatte gerade einen Brief vom vom Zweiten Deutschen Fernsehen in Mainz. Die haben eine Interviewserie "Zeugen des Jahrhunderts", wofür sie eine Aufnahmegruppe hier herüberschicken wollen für eine etwa vierstündige Dokumentation. ...
Ich bin mit der Vortragsreiserei bis auf weiteres fertig; bin aber tief an der Arbeit, eine gründliche Neufassung meiner Macht der Mitte zu schreiben -- viel systematischer und gründlicher, so daß es sich nun mehr als ein zweiter Band an Kunst und Sehen anschließen wird. Ich habe nun ein paar Jahre lang darüber geredet und gebrütet, und alles fügt sich nun besser zusammen und in den Zusammenhang der Psychologie als ganzer.
15. April 1987:
Recht schönen Dank für Ihren Brief und die viele Arbeit, die Sie auch diesmal wieder an die Vorarbeit für eine Arnheim-Veröffentlichung verwandt haben. Das Inhaltsverzeichnis sieht viel üppiger aus, als ich geahnt hatte. Es macht ein respektables Buch. ... Die frühen Kritiken halte auch ich für amüsant, und es wird mich freuen, sie wieder im Druck zu sehen. ... Den Aufsatz über die Juden im Film möchte ich nicht in dem Buch haben. Ich stimme mit Ihnen darin überein, daß das Material an die deutsche Öffentlichkeit gehört, aber nicht in diesem Zusammenhang, der mich als Theoretiker vorstellt. Dies ist ja eine reine Tatsachensammlung, und dabei mehr eine Arbeit von Kraszna-Krausz, der alle Angaben beisteuerte; denn ich hatte wenig Ahnung davon, wer Jude war und wer nicht. ... Zum Abdruck des Kracauer-Aufsatzes gebe ich Ihnen gern Erlaubnis.
18. Juni 1987:
Ich möchte Ihnen bestens für das Tannenbaumbüchlein danken, das ja wirklich sehr lesenswert ist. Es ist schon eindrucksvoll, wie enthusiastisch und unbedenklich er über den Film als Kunst spricht, wenn man bedenkt, wie wenig es doch um 1912 zu sehen gab. Interessant auch die Kriegsbegeisterung, die er damals mit erstaunlich vielen guten Leuten teilte, etwa Thomas Mann und Max Planck. Auch für Künstler wie Beckmann, Marc und Macke hatte der Krieg das Versprechen einer geistigen Reinigung, ein naiver Idealismus, von dem gewiß im Zweiten Weltkrieg wenig zu spüren war. Ganz zu schweigen von nachher und heute.
12. Juli 1987:
Es freut mich auch, daß es mit dem Buch vorwärts geht. Der Titel Die Seele in der Silberschicht gefällt mir sehr ... Was den kleinen Aufsatz in Cinema anlangt, so nehme ich an, er ist von mir, obwohl der Text so ziemlich von jedermann sein könnte. Aber ich benutzte die Abkürzung rnh gelegentlich, aus der der Drucker rhn gemacht haben könnte, und der mißmutige Zuschauer sieht so aus, als ob ihn meine Schwester Marie gezeichnet hat -- sie arbeitete damals mit mir als Fotografin und Zeichnerin. ...
Und im übrigen arbeite ich an einem Band meiner notebooks, die sich seit etwa 1960 angehäuft haben und von allem handeln, was gut und teuer ist.
23. Juli 1988:
Diese Woche hatten wir hier auch den Parteitag der Demokraten, wo ein sehr guter Bewerber, ein geborener Grieche, sich nach Kräften um seinen schwarzen Konkurrenten zu bemühen hatte, was eine sehr zweideutige Angelegenheit ist, indem nur zu leicht weißhäutige Wähler abspringen, wenn man die schwarzhäutigen zu gewinnen sucht. All das lenkt die Kräfte vom eigentlich Wesentlichen ab.
5. Aug. 1989:
Recht schönen Dank für Ihren Geburtstagsgruß. Dies war nun der 85ste, und im großen Ganzen bin ich noch derselbe. Gesundheitlich kann ich mich nicht beklagen, und mit dem Schreiben hat es auch noch seine Richtigkeit, nur daß das Ankurbeln weniger prompt ist und man sich fragt: Werde ich nach wie vor, solange ich eben vorhalte, noch etwas zu sagen haben? ...
Mir geht es jetzt vor allem gegen die Relativisten und Dekonstruktivisten, diese Termiten in unserem Kulturbau, dies Untergraben von Wahrheit und Wert. Das Selbstzerstörerische unserer Welt, im Geistigen wie im Politischen und Biologischen, scheint unaufhaltbar, und doch geht die Welt weiter und wächst und baut. Und so wünsche ich Ihnen alles Gute zum Familienzuwachs -- wie wissen Sie denn so genau, daß es ein Mädchen wird? Wie heißt es doch bei Matthias Claudius vom Monde: er liebt die Knaben, "doch die Mädchen mehr."
24. Dez. 1989:
Dies ist nicht ein Heiligabend wie sonst. Ich war drei Wochen im Krankenhaus mit einem coronary heart attack, und das war ein unerfreulicher Anschlag auf meine gewohnte Stabilität. Auch jetzt bin ich noch recht klapperig. Ich male die Buchstaben langsam wie ein Mönch.

Ihr gähnendes Töchterchen (auf der Geburtsanzeige, H.H.D.) kam uns wie ein Symbol europäischen Erwachens. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus und fragt sich, ob die neuen und alten Herren am Ruder genug Weisheit haben werden. ...
Als meinen Biografen lasse ich Sie wissen, daß mir der Bundespräsident, Herr von Weizsäcker, von ein paar Tagen das Großkreuz des Verdienstordens verliehen hat. Der hiesige Konsul wird es mir um den Hals hängen, sobald ich wieder repräsentabel bin.

12. April 1990:
Ich bin gerade bei einer mühsamen und mit Vergangenheitsgefühlen beladenen Arbeit. Ich mußte mich nämlich an den Gedanken gewöhnen, daß all die vielen Pfunde von Papieren und Dokumenten, die sich über die Jahre angesammelt haben, entweder mit Archiven deponiert oder weggeworfen werden müssen. Der Rest, zumal die vielen Familienpapiere, würde nur eben eine Last für unsere Nachkommen sein, und so sitze ich nun täglich im Keller, sortiere all dies Material aus und werfe den Rest in eine bereitwillige Abfalltonne. Von all dem Filmmaterial, Ausschnitten und Manuskripten habe ich unbarmherzig all das weggeworfen, was Sie meines Wissens in Ihrer so ausführlichen Sammlung berücksichtig haben. Nur eines ist mir in die Hände gefallen und das bringe ich, zu ermäßigtem Manuskriptporto für Sie auf den Weg, und zwar einen meiner wenigen Versuche, ein Filmmanuskript zu schreiben. Es war als eine Verfilmung eines Romans von Salvator Gotta, "La Signora di Tutti", gedacht, die dann auch verfilmt wurde, aber gänzlich ohne Verwendung meines Manuskripts. Ich habe mein Produkt nicht erst wiedergelesen, bevor ich es an Sie schicke, weiß also nicht, ob es etwa so kümmerlich ist, daß man besser nur errötet und es dann der Nachwelt vorenthält. Lassen Sie mich nur gelegentlich wissen, was Sie davon halten. Ich kann mich nur an ein zweites Manuskript erinnern, an dem ich mich einmal versucht habe, nämlich eine Verfilmung von Hauptmanns Novelle Bahnwärter Thiel, auch diese niemals verwendet und vermutlich verschollen.
9. Dez. 1990:
Mir selbst sind die letzten Monate, nach unserem Umzug, recht erholsam gewesen. Ich habe wieder Einiges geschrieben, eine neue Aufsatzsammlung ist im Druck ... Im Augenblick habe ich keine weiteren Projekte, gebe vielmehr den Verlockungen nach, die vielen schönen literarischen und philosophischen Klassiker wieder aufzufrischen und allerhand Fußnoten dazu zu notieren. Die Neuigkeiten der Gegenwart verlocken mich nur selten.
28. Mai 1991:
Nur eben ein Lebenszeichen, obwohl aus einer Hitzewelle, die mich an nichts so sehr erinnert als die Albdruckgemälde von Füseli. ... Ich danke Ihnen für Ihre Bemühung um einen zweiten Band meiner Filmschriften. Sie wissen ja aber, daß ich vom Druckwert dieses Materials keineswegs überzeugt bin!
Die Welt hat sich durch unseren photogenischen Kreuzzug keineswegs verbessert. Ich sehe keinen Ausweg aus den selbstsüchtigen Kleinkriegen überall.
28. Febr. 1992:
Professoren von der Universität lassen mich ab und zu eine ihrer Klassen besuchen, um zu zeigen, daß auch vorsintflutliche und bereits zur Geschichte gerechnete Gestalten noch lebendig herumkriechen. Auch habe ich hier und da noch mit Doktoranden zu tun und mit deren vielerlei Kummer. Die Situation in Deutschland ähnelt in manchem der unsrigen -- sowohl im Universitäts- wie auch im Verlagsbetrieb. Den Hochschulen werden auch hier die Finanzen beschnitten, und das Hauptproblem ist im übrigen das "politisch korrekte" Verhalten, worunter das Folgende verstanden wird. Das politische und Geistesleben ist in Minoritäten zersplittert, und Rassenkreuzzüge und Frauenkreuzzüge kämpfen für ihre Rechte im Großen aber auch im Kleinlichen.
20. Aug. 1992:
Ich bin nach wie vor am Schreiben, vor allem weil ich ohne Schreiben sehr unbehaglich bin. In unserer Strandhütte hier im Sommer habe ich auch wieder an einer Holzfigur geschnitzt.
Ich lege Ihnen unsere neue Adresse bei. Es ist ein Altersheim, wo wir eine komfortable Dreizimmerwohnung im obersten Stock haben, mit genug Platz für meine sieben Bücherregale.
12. Sept. 1993:
Ich hatte gerade einen zweitägigen, recht ersprießlichen Besuch von Thomas Meder, der mich wieder einmal in die ganze alte Geschichte des Films zurückrief. Er brachte mir auch Ihr sehr gewichtiges Geschenk, die Filmgeschichte*, wofür ich Ihnen sehr herzlich danken möchte. Auch habe ich Ihren Beitrag über Filmkritik gelesen. Es tut einem natürlich wohl, sich so gewürdigt zu sehen, und es ist mir natürlich eine Erleuchtung, mich in den historischen Zusammenhang eingereiht zu sehen. ...
Zufällig besucht mich morgen auch eine Dame, die dabei ist, meine Filmschriften ins Englische zu übersetzen. Offenbar hat Hanser mit einem hiesigen Universitätsverlag einen Kaufvertrag abgeschlossen, ohne sich die Mühe zu nehmen, mich davon zu unterrichten.
* (Geschichte des deutschen Films, herausgegeben von Jacobsen, Kaes, Prinzler)
15. März 1994:
Es freut mich sehr, wieder einmal von Ihnen zu hören, wenn auch die Hauptnachricht wenig ermutigend ist. Ich muß aber dazu sagen, daß auch bei uns der Universitätsbetrieb immer unerfreulicher wird, so daß ich froh bin, daß ich seit nunmehr fast zehn Jahren mir das Treiben fast nur noch über den Zaun besichtige. Auch hier die gleiche Intrigue und Brutalität.
16. Juni 1994:
Die Katze läßt das Mausen nicht. Sie sind also immer noch dazu gebracht, Arnheim-Restchen aufzuspüren. Ja, ich habe von Herrn Voigt gehört und ihm dann auch geschrieben. Es kann eine sehr interessante Dokumentation, ein noch unerforschtes Eckchen jener ereignisreichen Zeit, dabei herauskommen. ...
Was nun die Übersetzung meiner "Kritiken und Aufsätze" ins Englische anlangt, so sehe ich dem Produkt mit einigem Zagen entgegen. ... meine Kritiken leben ja doch von ihrer schriftstellerischen Qualität. Sie sind auch voller zeitgebundener Anspielungen. ...
Es wird sich anläßlich dieses 90sten Jahres offenbar einiger Klamauk abspielen. ... Und dabei bin ich so garnicht auf solchen Trara aus. Am Geburtstag werden nur unsere zwei Enkelkinder aus Holland hier sein, und niemand sonst ist zugelassen.
28. Juli 1994:
Der 15. Juli ist in der Tat in erfreulicher Stille begangen worden, obwohl das Telefon selbst aus Deutschland und Italien klingelte. Ich bin nach wie vor am Schreiben. Den Aufsatz über die Authentizität der photographischen Medien haben Sie ja wohl gesehen, aber auch Anderes zumal über Design und Architektur hat mich beschäftigt.
5. Juni 1995:
Gerade heute habe ich von der Akademie der Künste das schöne und sehr inhaltsreiche Buch Zuflucht auf Widerruf erhalten. Sie können sich denken, wie viele Erinnerungen das Buch in mir wachruft, denn wenn ich zwar von all den Leuten, über die es berichtet, nur dem Namen nach wußte, sie aber nicht persönlich kannte, so belebt sich da doch eine wichtige Zeit meines Lebens aufs Neue. Und natürlich erfreut es mich, daß Sie wieder einmal als mein Chronist fungieren. ...
In New York war ich Wertheimers Nachfolger nur an der New School for Social Research, nicht aber in Sarah Lawrence, womit W. nichts zu tun hatte (und auch an der New School übernahm ich, glaube ich, nur einen seiner Kurse.)
27. April 1996:
An diesem Wochenende kann man Ihnen wohl als regulär habilitiertem Professor gratulieren. Und ich weiß, was für eine lange Quälerei es gewesen ist. ... Ich hoffe doch, daß man Sie nun auch entsprechend bezahlt, so daß Sie Ihren Broterwerb bei der Werbeagentur aufgeben können.
Der Zeitungsbericht über die letzte Weltbühnennummer hat mich natürlich sehr interessiert. Das Kästnergedicht ist gewiß authentisch; es ist echter Kästner. Die ersten drei Seiten sind leer, weil nämlich Ossietzky sie immer für den Tag in der Potsdamer Druckerei frei hielt, um einen Leitartikel aktuell zu machen. ... Da ich die Filmkritik schrieb und ablieferte, war ich offensichtlich an Ort und Stelle; Karsch, der seit meiner Abwesenheit wegen Krankheit (Tuberkulose) als politischer Hilfsredakteur in der Redaktion arbeitete, kam also in den Besitz des letzten Umbruchs. Ich habe aber keinerlei Erinnerung an diese letzten Tage. Kein Wunder allerdings, denn mein Gedächtnis war immer sehr schlecht.
2. Dez. 1996:
Augenblicklich habe ich viel Briefwechsel mit Deutschland, wovon Sie allerdings leider wenig zu spüren bekommen haben. Hauptsächlich verdanke ich dies dem DuMont Verlag in Köln, der eine kleine Arnheim-Renaissance losgelassen hat. Sie haben das Anschauliche Denken und Entropie und Kunst, die beide ausverkauft waren, neu gedruckt, und was mich vor allem freut, ist, daß sie meine Neufassung der Macht der Mitte in einer sehr guten Übersetzung herausgebracht haben. Daran liegt mir besonders, denn ich habe das Buch gänzlich neu geschrieben, und es ist jetzt eine systematische Kompositionslehre, für die es meines Wissens keine wirkliche Konkurrenz geben kann. Mir liegen die deutschen Leser da besonders am Herzen, denn die deutsche Leserschaft ist es nach wie vor, bei der ich das beste Verstehen finde. Meine Denkweise ist eben doch die alte Gestaltschule. ...
Vielleicht haben Sie auch von dem satirisch-phantastischen Roman von mir gehört, den ein Herr Thomas Schumann, ein Spezialist für Emigrantenliteratur ..., jetzt herausbringt. Dieses Buch hat eine wilde Geschichte. Ich schrieb es in der heimatlosen Auswandererzeit, und Kurt Weller - Konstanz, hatte es nach dem Kriege in Druck gegeben, ging aber Pleite ...
26. Febr. 1997:
Ich muß sagen, daß obwohl unsere hiesigen Universitäten nicht gerade großzügig mit ihren Fakultätsangestellten umgehen, so gibt es bei uns das kostenlose Privatdozentenstadium nicht. Alles Unterrichten wird bezahlt.
3. Dez. 1997:
Ich höre, daß Sie sich die Mühe genommen haben, bei der Bonner Konferenz über meine Filmarbeit zu berichten, und bin Ihnen natürlich sehr dankbar, daß da "from the horse's mouth", wie man bei uns sagt, dadurch gehört hat. ...
Inzwischen ist nun also die Übersetzung Ihrer Filmschriften von der University of Wisconsin Press veröffentlicht worden, und soweit ich Frau Benthiens Übersetzung geprüft habe, hat sie das recht gut getan. Sie ist eine Amerikanerin, mit einem Deutschen verheiratet, aber ihr Deutsch ist so authentisch, daß man schwören würde, sie ist echtes Berlin. Wir hatten neulich ein "Bookwarming", also ein Signieren des Autors in einer Buchhandlung, und ich hatte meine Unterschrift so oft zu geben, daß sie mir fast über geworden ist. Nächsten Monat wird hier auch von der University of Michigan Press ein Buch über mich herausgebracht werden, und inzwischen habe ich auch von der Universität in Padua einen Ehrendoktor erhalten, worauf ich doch stolz bin, da die Universität Padua, zu der Galilieo gehörte, 1222 gegründet wurde. Es tut sich also so allerhand.
12. März 1998:
Besten Dank für Ihren Brief und den Bonner Vortrag, den ich sogleich lesen werde und vielleicht darauf antworten werde. Und alle Glückwünsche zu Ihrem 50sten Geburtstag. Das ist ja nur erst ein Anfangsalter, und Sie haben noch viel von Ihrer Karriere vor sich. ...
Inzwischen ist auch der Südwestfunk von Baden-Baden zu einem Interview für (seine) "Wortwechsel"-Serie hier gewesen. Es war sehr geschickt und intelligent gemacht, und ich konnte manches Wesentliche formulieren.
20. April 1998:
Endlich hatte ich Gelegenheit, Ihren Aufsatz über mich für die Bonner Zusammenkunft zu lesen. Es ist echter Diederichs, authentisch, gehaltvoll, und auch voller Information von der ich nichts wußte oder sie vergessen hatte. ...
Und übrigens kann ich berichten, daß der Sirenensang des Films noch nicht ganz verstummt ist. Gerade eben habe ich einen kurzen Aufsatz beendet, den ich dem "Film Quarterly" anbieten will. Er heißt "Composites of Media: the History of an Idea". Er beginnt mit dem Nuovo Laocoonte und beschreibt, wie ich damals unter dem Zwang der strategischen Situation, die Medien -- Bild und Ton -- auseinanderzuhalten, das Grundprinzip der Gestalttheorie vernachlässigte, das ja doch meine Grundeinstellung war und ist und wonach alle Komponenten eines Ganzen zu einem untrennbaren Zueinander gehören. Das führt mich dann in dem Aufsatz zu meiner jetzigen Einstellung zum Film, dessen Komponentenfülle er im Prinzip begrüßt, jedoch das Meiste der heutigen Produktion ablehnt, weil sie der Vergnügungsindustrie zum Opfer gefallen ist.
5. April 1999:
Gesundheitlich hat mich nichts bekümmert, aber meine Frau Mary hatte eine schwere Operation durchzumachen, deren letzte Schwächungen sie immer noch nicht ganz überwunden hat. Ich werde nun 95, und so lebt unsereins nicht mit Voraussicht, sondern nimmt vorlieb mit (dem), was eben vor sich geht. ... Wie, glaube ich, Goethe sagt: Läuft es nicht, so tröpfelts doch.
23. Juli 1999:
Endlich komme ich dazu, Ihnen zu Ihrer Professur zu gratulieren. Das ist wirklich ein schon lange verdienter Erfolg, und ich und Mary, wir freuen uns mit Ihnen. Wie überall werden ... die jungen Professoren mit Überlastung ausgenutzt. Sie werden aber wenigstens finden, daß mit der Zeit alles sich zu einer Routine vereinfacht, die keineswegs bedeutet, daß man seine Frische und Spontaneität verliert.
Ich danke Ihnen bestens für Ihren Geburtstagsglückwunsch und auch was Sie zum Käutnerpreis sagen. Ja, unsere Tochter Margaret wird mich in Düsseldorf vertreten, und am zehnten September wird allerlei Klimbum vor sich gehen, einschließlich der Oberbürgermeisterin von Düsseldorf und einer Parallelfeier hier in Ann Arbor.
14. Okt. 1999:
Die ganze Veranstaltung war natürlich sehr erfreulich für mich, hatte aber auch etwas Gespenstisches und unserer gegenwärtigen Kultur sehr Angemessenes. ...
Mit meinen Publikationen hat es ja nun auch sein Ende. Nach wie vor werde ich mein Spintisieren aufrecht erhalten und weiter dieses und jenes notieren, aber nur meine Freunde, nicht die Öffentlichkeit werden damit belastet werden.
26. Dez. 1999:
Diesmal kann ich keinen Brief schreiben, sondern nur die unbeschreibliche Nachricht übermitteln, daß ich vor einigen Wochen meine Mary verloren habe, an einer langsam wachsenden Krebskrankheit. Dazu habe ich keine Worte.
20. März 2000:
Ich will mich mal wieder bei dem Herrn Professor melden, zumal um Ihnen mitzuteilen, was sich an der Humboldt-Universität in Berlin zugetragen hat. Die haben beschlossen, die Doktorate wiederherzustellen, die seinerzeit von den Nazis abgeschafft worden sind, aus rassischen oder politischen Gründen -- bei mir aus beiden ...
1. Juni 2000:
Das Neueste aus Berlin ist, daß die berliner Universität vom akademischen Austauschdienst Geld bekommen hat zur Gründung einer Professur. ... Die Hauptsache ist aber, daß die Humboldt-Universität beschlossen hat, sie Rudolf-Arnheim-Professur zu benennen. Das freut einen denn ja auch!
Im Übrigen überschätzt mich Ihr Brief. Ich habe keinerlei Beziehung zum Internet Computer, kann daher auch nicht erfahren, was da über mich oder Sie berichtet wird; gebe Ihnen aber unbesehen, mit Vertrauen auf Sie, meine Genehmigung für (das) was Sie da anrichten wollen.
8. Sept. 2000:
Mein Aufsatz über die Composites of Media ist im Michigan Quarterly Review, Herbst 1999, erschienen. Er enthält also mein letztes Wort zum Filmthema, ..., denn ich sehe kaum noch Filme und habe kein Fernsehen. Die New York Times ist eigentlich meine einzige Quelle, auch dort kann ich nur einzelne Zeilen lesen, weil meine alten Augen jetzt gänzlich am Abklingen sind.
8. April 2001:
... freut es mich zu hören, dass Sie das Nachwort zu dem Radiobuch schreiben werden. ... Dass ich das Buch über den Rundfunk als zweites Buch schrieb hatte natürlich seine Richtigkeit: das erste Buch war über die Welt als bloßes Bild ohne Ton; das zweite war also logischerweise die Welt ohne Bild. ...
Herta Kopfermanns Doktorarbeit war mir natürlich bei beiden Büchern gewärtig, ob zitiert oder nicht. In unserer Zeitschrift Psychologische Forschung 1930 erschienen, war sie mir persönlich und schriftlich bestens bekannt. Sie ist ein Grundstück der Gestalttheorie.
16. Sept. 2001:
Gerade jetzt beende ich einen kurzen Aufsatz über chinesische Literatur und Malerei, benamst "The Fable and the Scroll"; werde es schicken, wenn es das Licht der Welt erblickt.
Hier ist alles verstört durch den Überfall in New York.

4. Mai 2004: (E-Mail von Margaret Arnheim Nettinga)
Dear Prof. Diederichs:
I believe we met very briefly at the Duesseldorf film award affair. I decided to contact you because as you know my father is no longer able to communicate directly and easily with the outside world. He doesn't hear well enough to come to the phone and doesn't see well enough to write letters himself anymore. He does have a wonderful help, Lorinda, who takes dictation for him. And most of the letters Lorinda can't cope with (German, Italian) are sent on to me to deal with.
When I visited Rudi in Ann Arbor in March, we talked about how he wants to celebrate his 100th birthday. He said: "keep it simple!". That's what I am trying to do: we are having a party consisting very small group of family and close friends. He is very, very frail and tires very easily now.
5. August 2004: (E-Mail von Margaret Arnheim Nettinga)
Rudi had a wonderful 100th birthday celebration. He was exhausted, though. He is somewhat more confused lately but I had a good - although brief - talk with him on the phone yesterday.
5. September 2004: (E-Mail von Margaret Arnheim Nettinga)
Dear Helmut:
By the way, Rudi is sometimes lucid, but often quite confused. He enjoys his visitors a lot, as long as their time with him is structured and he knows they are coming. Surprise visits don't seem to work very well. I will try to visit him again before the winter sets in.
12. August 2005: (E-Mail von Margaret Arnheim Nettinga)
We just returned from a two-day visit with Rudi in Ann Arbor (we are up in the northern Michigan for the summer, so it is easy to drive back and forth). He is doing fine (for his advanced age). He is sometimes quite "with it"; sometimes he lives very much in the past. He has some periods of confusion and it is hard to predict how he will be on any given day. We have the impression that he sleeps most of the day. He still enjoys eating, though, and he enjoyed being outside yesterday (we took him for a stroll around the pond).
So, it's a mixed picture, really. We were in Ann Arbor for 15 July and had a nice (quiet!) 101st birthday with him. He still gets visitors but his capability of communicating is rather limited. I have been in touch with the Italian film student and told him he is welcome to visit, but not to expect too much. If it means a lot to him to see Rudi briefly, then he should go, of course. I tell other people the same thing.
1. Januar 2006: (E-Mail von Margaret Arnheim Nettinga)
Everything is very quiet in Ann Arbor; I visited Rudi just a few weeks ago. He is very much in his own world now, although he did recognize me once. It was important for me to check up on his care and support the support troops. He is getting an Alzheimer’s medication and that helps somewhat. I’ll let you know if there are any other serious developments. He does seem to be peaceful. He sleeps most of the time.

21. Juli 2006: (E-Mail von Margaret Arnheim Nettinga)
Rudi is not well at all. We think that the final stage has started, although there is no real emergency or serious health issue. He is no longer responsive and does not communicate verbally much at all. He is losing weight and sleeps most of the time. Lorinda (his companion) is very worried and I stay in touch with the nursing staff.
I did not go over for his 102e birthday ( we became grandparents for the first time in May – our daughter and son-in-law, who live in Amsterdam, now have a baby daughter). Under the circumstances, Rudi’s birthday was quiet.
21. Oktober 2006: (E-Mail von Margaret Arnheim Nettinga)
We are in the States right now and just returmed from a visit to Rudi. He did not recognize us at all, I am afraid. We are hoping that the end will not be far away, but I am afraid this situation may continue for a while. He eats (a little) and sleeps and that's it.
9. Juni 2007, 19:56 Uhr: (E-Mail von Margaret Arnheim Nettinga und Cornelis Nettinga)
Dear Helmut: Rudi died peacefully at around 12.15 US time today. He had many people with him and both Cor and myself spoke to him briefly by phone.
We will be in touch to let you know about a memorial meeting later on.
Regards, Margaret
 

Kontakt: 

Dies ist die Webseite von  Helmut H. Diederichs (* 1948), Industriekfm., Dipl.-Volkswirt, Dipl.-Soziologe, Dr. phil. habil. (Filmsoziologie), Prof. (i.R.) für Medienpädagogik und Öffentlichkeitsarbeit, der als Ruheständler Freude daran hat, hier seine vergangenen und gegenwärtigen Aktivitäten zu dokumentieren - vor allem die wissenschaftlichen, aber nicht nur ...!